In diesem Essay wird die These vertreten, dass die in den letzten Jahren deutlich vernehmbare Kritik am gedruckten Buch Beispiel für eine Form von Kulturkritik ist, die ihr Unbehagen an der Gegenwart nicht durch Sehnsucht nach der «guten alten Zeit» artikuliert, sondern durch eine Heilserwartung, die sich ganz den technischen Möglichkeiten des Digitalen anheimgibt. Das Buch steht stellvertretend für eine ganze Palette von wissenschaftlichen und kulturellen Verhaltensweisen, die als Hemmschuh bei der Durchsetzung der digitalen Wissenskultur angesehen werden. Anstatt die unterschiedlichen Stärken von Papier und Digitalis hervorzuheben und zu fragen, wo mögliche Synergien liegen könnten, wird ein rivalisierender Gegensatz zwischen beiden postuliert, der eine Entscheidung verlangt. Hagner bettet diese Buchkritik als Kulturkritik in eine längere Tradition der Kritik am Buch ein, in der ähnliche Verhaltens- und Argumentationsmuster immer wiederkehren. Der Essay endet mit einem kurzen, leidenschaftlichen Plädoyer für das gedruckte Buch.
Längst vor der Erfindung von Internet, E-Book und Open Access ist das Ende Gutenberg-Galaxis prophezeit worden, und auch heute wird dem gedruckten Buch immer wieder der Totenschein ausgestellt. Auch wenn man sich solche Untergangsphantasien nicht zu eigen macht, kann man nicht übersehen, dass das geisteswissenschaftliche Buch unter Druck geraten ist. In dem vorliegenden Essay werde ich einige Bedingungen für die gegenwärtige Lage analysieren und die These vertreten, dass gerade diejenigen, die das Ende des gedruckten Buches herbeireden, eine Art von Kulturkritik betreiben, die weit hinter das digitale Zeitalter zurückreicht. Paradigmatisch ist diese Kulturkritik insofern, als in jeder Phase von kultureller Unübersichtlichkeit und Desorientierung grundsätzliche Zweifel auftauchen, die sich entweder in einer pessimistischen Geschichtsphilosophie oder in einer medialen Heilserwartung entladen.