Wo über Fotografie nachgedacht wird - und zwar seit deren Erfindung im 19. Jahrhundert -, sind die Themen Reproduktion und Unikat gegenwärtig. Doch die Suche nach dem fotografischen Unikat ist vergeblich. In einem strengen Sinn von Einzigartigkeit gehören Kategorien wie Original und Unikat nicht zu einem Medium der Reproduktion. Bernd Stiegler hat recht, wenn er feststellt, dass wir eigentlich keine »emphatische Bestimmung von Singularität brauchen«, um Fotografie angemessen zu denken. Und auch Monika Fabers Feststellung, die Fotografie sei »nicht als Medium der Kunst geboren«, zielt in die gleiche Richtung. Trotzdem ist diese Suche seit bald 180 Jahren im Gang. Ob es die Pioniere dieses neuen Mediums der Sichtbarkeit so wollten oder nicht, die Fotografie brachte sich als Kulturtechnik der Abbildung vor allem gegen die Kunst in Stellung.
Das Thema bleibt aktueller denn je. Der Übergang von der fotochemischen Fotografie zu den elektronischen Bildtechnologien beschreibt einen Bruch. Es wäre falsch, die zwei Kulturtechniken der Bildgebung gegeneinander auszuspielen. Aber es lohnt, die Suche nach Unikat, Original oder jedenfalls künstlerischer Singularität im Sog dieses Umbruchs nicht ganz aufzugeben. Die Theorie der Fotografie ist noch nicht zu Ende geschrieben.
Anhand von Themen wie Fotografie um 1900, Porträts in der Werbung, die Fotografie von Hans Danuser oder den zwei Filmen »Blow up« und »The Girl with the Dragon Tatoo« setzen sich die acht AutorInnen mit den Fragen rund um Unikat/Reproduktion und analog/digital auseinander.
Marco Meier beschreibt in seinem Essay die Reproduzierbarkeit als Gestus menschlicher Kulturtechnik, Monika Faber zeichnet nach, wie Fotografen um 1900 nach »Bildern« (»pictures«) statt »Abbildern« (»photographs«) trachteten und den Herstellungsprozess mit ins Bild einschrieben. Bernd Stiegler macht in seinem Beitrag einen zeitlichen Bogen von der ersten Fotografie bis zu den Theorien von Benjamin, Kracauer und Barthes und stellt fest: »Die Grenze zwischen Unikat und Reproduktion ist in der Geschichte und auch der Theorie der Fotografie in eigentümlicher Weise fließend.« Yves Bossart zeichnet die Suche des Künstlers und Fotografen Hans Danuser nach neuen Möglichkeiten der analogen Fotografie nach. Für seine letzte Serie »The Last Analog Photograph« arbeitete Danuser mit einem Chemiker zusammen, um für die sandbraunen Wüstenbilder eine Fotopapierbeschichtung zu entwickeln, die durch den Lichteinfall wüstenfarbig wird. Valentin Groebner macht in seinem Beitrag eine »kleine Recherche« nach der Wirkungsgeschichte der vervielfältigten Bilder anhand des menschlichen Gesichts auf Werbeplakaten. In den Filmen »Blow Up« und »The Girl with the Dragon Tattoo« hat ein Foto eine zentrale Rolle bei der Aufklärung eines Falls. Johannes Binotto geht der Frage nach, welche Folgen die Reproduktionsart (analog vs. digital) in diesem Zusammenhang hat. Stefan Zweifel versucht in seinem freien Text jene »Widerständigkeit der Materie« zu evozieren, die Roland Barthes an der (analogen)erotischen Fotografie nach der Art eines »punctum« so faszinierte. Ulrike Meyer Stump schließlich setzt sich in ihrem Beitrag mit Büchern von Künstlern auseinander, die als Ausgangsmaterial Bücher anderer Künstler verwenden und damit Re-Produktionen schaffen.
Die Texte des Buches basieren auf Referaten einer Tagung am Collegium Helveticum von ETH und Universität Zürich oder sind in Auseinandersetzung damit entstanden. Sie zeigen, dass die Themen Reproduktion und analoge vs. digitale Fotografie aktueller denn je sind.