Warum Reden? Als Ergänzung zu ihren Dichterlesungen bietet die Stiftung Lyrik Kabinett seit 2005 ein Forum für die historischen, ästhetischen, theoretischen und poetologischen Positionsbestimmungen der Poeten, will Kompaß sein
für ihr Navigieren auf stolzen Schiffen im unabsehbaren Ozean der Literatur (aufdem auch die Bergungsboote von Kritik und Wissenschaft umhertreiben).
Tatsächlich Reden: und nicht etwa Vorreden, Traktate oder Essays ¿ »dramatische Akte« also zwischen dem Redner und seinem Publikum, durchaus in der Traditionvon Goethes Frankfurter ¿Rede zum Schäkespears Tag¿ von 1771, die alle
Regelpoetik wegfegte, in derjenigen von Schillers 1784 in Mannheim gehaltener
Rede ¿Was kann eine gute stehende Schaubühne eigentlich wirken?¿, und auch in
der Tradition Rudolf Borchardts seit seiner Göttinger ¿Rede über Hofmannsthal¿
von 1902. Mit Gottfried Benns Marburger Rede ¿Probleme der Lyrik¿ von 1951
und Elias Canettis Münchner Rede ¿Der Beruf des Dichters¿ von 1976, mit der Büchner-Preis-Rede Paul Celans und den Frankfurter Vorlesungsreihen Ingeborg Bachmanns und Ernst Jandls hat sich eine Form etabliert, die es lebendig zu
Halten gilt. Denn nur in der öffentlichen Rede läßt der Autor seine Zuhörer am Prozeß seiner Poesie unmittelbar teilhaben ¿ und an sich selbst, innerhalb und Außerhalb der ihn umgebenden, ihn lähmenden oder inspirierenden Gemeinschaft.