Vor mehr als einem Jahrhundert erschien die letzte vollständige Übertragung der "Lusiaden", dieses berühmtesten und bedeutendsten Werks der portugiesischen Literatur, ins Deutsche. Seit der 500. Wiederkehr der Entdeckung des Seewegs nach Indien durch Vasco da Gama, den Luís de Camões besingt, liegt dem deutschsprachigen Publikum eine moderne Gesamtübersetzung dieses großen Epos vor. Camões, der die "Lusiaden" Mitte des 16. Jahrhunderts verfasste, erzählt hier nicht nur die Entdeckungs- und Eroberungsfahrten da Gammas, sondern die ganze portugiesische Geschichte als die Historie eines heldenhaften Volkes: Dabei stehen ergreifende Szenen wie der brutale Mord an Inês de Castro, der heimlichen Geliebten des Infanten Peter, neben belustigenden Schilderungen wie der Landung der Seefahrer auf einer paradiesischen Liebesinsel inmitten des Indischen Ozeans. Die kunstvolle Verschränkung von historischer Wahrheit, Mythologie und Dichtung erhebt die "Lusiaden" in den Rang der großen Epen der Weltliteratur - der "Ilias", der "Odyssee" und der "Aeneis", die Camões als Vorbilder dienten. Indem der Dichter das Wirken eines ganzen Volkes preist, mag es kaum, verwundern, dass den so Besungenen dieses Epos als Fundament ihres Nationalgefühls gilt: Bis heute sind die "Lusiaden" das grundlegende Bildungserlebnis, mit dem sich auch Autoren der portugiesischen Gegenwartsliteratur wie José Saramago und António Lobo Antunes beschäftigt haben.
Erklärtes Ziel der Dichtung ist es, den Ruhm eines Volks zu singen, dessen
Heldentum in der Entdeckung des Seewegs nach Indien und der Eroberung von
asiatischen Besitzungen gründet. Die Handlung lehnt sich daher an die historischen
Fahrten (1498/99) von Vasco da Gama (um 1469-1524) an, bezieht im Rückblick
aber auch die gesamte Vorgeschichte Portugals ein. Zugleich wird die portugiesische
Expansion als Mission zur Verbreitung des christlichen Glaubens gefeiert.
Schließlich (und für den Autor offenbar ohne Widerspruch) wird die Abenteuerfahrt
in den Rahmen eines Götterstreits auf dem Olymp gestellt und somit in Analogie
zu der Odyssee (entst. 2. Hälfte 8. Jh. v. Chr) von R Homer und zur Aeneis
gesetzt. Jupiter will die Eroberungsfahrt der Lusiaden, deren Schiffe soeben
die Südspitze Afrikas umrundet haben, nach Indien unterstützen. Ihm tritt
Venus zur Seite, die gegen den listenreichen Widerstand des Bacchus die
Portugiesen nach Melinde führt. Dem dortigen König erzählt Vasco da Gama
die Geschichte der portugiesischen Könige sowie die letzten Abschnitte
seiner Reise. Nach weiterer Seefahrt und Streit zwischen Bacchus und Venus
erreichen die kühnen Seefahrer Kalkut, wo Paulo da Gama die Heldenerzählungen
seines Bruders fortführt. Durch eine Intrige des Bacchus wird Vasco da
Gama inhaftiert. Nach seiner Befreiung verlassen die Portugiesen Indien,
werden von ihrer Schutzgöttin Venus in Gestalt der Thetis auf einer paradiesischen
Liebesinsel empfangen und belohnt. Das Epos endet mit einer visionären
Schau des Vasco da Gama auf das Planetensystem und die - immer mehr von
den Portugiesen beherrschte - Erde.